Toxoplasmose galt bislang vor allem als Risikofaktor für Schwangere. Doch neuen Studien zufolge werden die Gefahren, die von der weit verbreiteten Erkrankung ausgehen, möglicherweise deutlich unterschätzt.
Der Ameise geht es nicht gut: Desorientiert torkelt sie auf einem dünnen Zweig aufwärts. Dann beißen ihre zangenförmigen Kiefer zum letzten Mal zu, und sie stirbt.
Wenig später offenbart sich die Ursache ihres Leidens: Ihrem Kopf entwächst ein Pilzfaden, eine Hyphe. Diese wird in den nun folgenden drei Wochen immer länger. Dann bildet sich an ihrem Ende ein Fruchtkörper mit Sporen, die über die Luft verweht werden – auf der Suche nach neuen Opfern.
Die letzten unsicheren Schritte der mittelamerikanischen Riesenameise wurden von einem Team der BBC festgehalten. Mehr als vier Millionen Menschen haben sich den Beitrag inzwischen auf Youtube angesehen. Denn das Drama, das der Tierfilmer und Naturforscher Sir David Attenborough dort beschreibt, könnte auch einem Horrorfilm entstammen: Der Pilz der Gattung Cordyceps tötet seine Opfer nicht nur. Zuvor verwandelt er sie noch in willenlose Zombies. Ferngesteuert erklimmen die infizierten Insekten eine Pflanze und beißen sich an der Spitze fest. Ihre Kiefer verkrampfen sich dabei so stark, dass sie sich auch im Tod nicht lösen.
Von dieser erhöhten Warte aus kann Cordyceps seine Sporen weiträumiger verteilen, als wenn seine Opfer am Boden gestorben wären. Der Pilz nutzt die Ameisen also als Transportvehikel – und parkt sie auch noch exakt dort, wo er selbst die besten Vermehrungs-Chancen hat.
Katzenurin lockt Mäuse an
Dass Parasiten das Verhalten ihrer Opfer ändern, ist kein Einzelfall. Ähnlich spektakulär geht etwa der Einzeller Toxoplasma gondii vor. Der mikroskopisch kleine Erreger vermehrt sich in Katzen. Auf dem Weg zu seinem Endwirt nutzt er verschiedene Zwischenwirte, darunter auch Mäuse und andere Nagetiere. Diese meiden Katzen aber aus verständlichen Gründen wie der Teufel das Weihwasser.
So zeigen Ratten und Mäuse normalerweise eine starke Abneigung gegen Katzenurin. Nach einer Toxoplasma-Infektion dreht sich dieses Verhalten jedoch um: Die Nager finden die Ausscheidungen ihres Fressfeindes plötzlich ziemlich attraktiv – eine selbstmörderische Eigenschaft. Sie dürften somit besonders leicht Opfer einer Katzenattacke werden. Dieser Effekt ist übrigens höchst spezifisch. Hundeurin etwa wirkt auf Toxoplasma-befallene Nagetiere weiterhin abschreckend; vermutlich deshalb, weil Hunde nicht der Endwirt des Erregers sind.
Toxoplasma gondii kann auch den Menschen anstecken. Der Katzen-Parasit tut das auch, sogar mit großem Erfolg. Schätzungen zufolge ist jeder dritte Erdenbürger mit dem Einzeller infiziert. Die Infektionsrate nimmt mit dem Alter zu; jeder zweite Deutsche über 65 Jahren hat Antikörper gegen das „Bogengeschöpf“ (so die wörtliche Übersetzung) im Blut. Oft bemerken die Betroffenen gar nichts von der Ansteckung; die Symptome ähneln denen einer leichten Grippe und klingen nach der akuten Phase vollständig ab. Der Erreger kapselt sich dann ab und überdauert in Zysten im Muskelgewebe oder im Gehirn. Die Infektion wird so chronisch, allerdings ohne offensichtliche Beschwerden zu verursachen.
Bei einer Immunschwäche kann die Erkrankung jedoch wieder aufflackern und dann sogar lebensgefährlich werden. Eine Toxoplasmose stellt daher für HIV-Infizierte oder Transplantations-Patienten eine echte Gefahr dar. Auch Schwangere sollten sich vor dem Erreger in Acht nehmen, da er dem werdenden Kind bleibende Schäden zufügen kann.
All dies ist schon lange bekannt. Inzwischen mehren sich aber Stimmen, die Toxoplasma gondii noch ein erheblich größeres Gefahrenpotenzial zuschreiben: Der einzellige Parasit soll auch in das menschliche Gehirn eingreifen, genauso wie in das von Ratten und Mäusen. Und das nicht nur in der akuten Krankheitsphase, nein: Toxoplasma soll das Verhalten von infizierten Menschen dauerhaft verändern können.
So soll die Ansteckung das Risiko erhöhen, an Schizophrenie zu erkranken. Sie wird mit Zwangsneurosen und der manischen Depression in Verbindung gebracht. Je mehr Menschen eines Landes mit Toxoplasmose infiziert sind, desto höher ist dort zudem die Selbstmordrate – gemessen in 20 europäischen Ländern. Menschen mit Toxoplasmose sollen häufiger in Verkehrsunfällen verwickelt sein. Und, wie ganz aktuell von Forschern der TU Dortmund herausgefunden wurde: Die Erkrankung beeinträchtigt im Alter möglicherweise sowohl das Gedächtnis als auch die Fähigkeit, sich auf ein Ziel zu konzentrieren.
Ähnlich starker Risikofaktor wie Cannabis-Konsum
Der Zusammenhang zwischen Toxoplasmose und Schizophrenie ist besonders gut belegt. Der Amerikanische Psychiater Edwin Fuller Torrey hat zusammen mit seinen Kollegen John Bartko und Robert Yolken 2012 eine umfangreiche Analyse zu diesem Thema veröffentlicht. Darin vergleicht er die Befunde von insgesamt 38 Schizophrenie-Studien aus den vergangenen sechs Jahrzehnten rund um den Globus. Ergebnis: Menschen, die Antikörper gegen Toxoplasma gondii im Blut haben, tragen ein 2,7-fach erhöhtes Schizophrenie-Risiko. Eine Toxoplasmose-Erkrankung habe damit etwa denselben Effekt wie der Konsum von Cannabis, schreiben die Autoren.
Allerdings ist die Interpretation derartiger Daten schwierig. Schließlich lässt sich die Korrelation auch ganz anders erklären – etwa damit, dass sich Menschen mit einer Psychose unvorsichtiger verhalten und daher leichter mit Toxoplasmose anstecken. Frank Seeber, Toxoplasmose-Experte am Robert-Koch-Institut in Berlin, warnt vor übereilten Schlüssen. „Die Datenlage ist sehr vage“, sagt er. „Man kann nicht von einer beobachteten Korrelation auf eine Kausalität schließen.“ Peter Falkai, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der LMU München, sieht das ähnlich: „Ich kenne keinen einzigen Krankheitsfall, von dem man sicher sagen könnte: Der hat Schizophrenie entwickelt wegen einer Toxoplasma-Infektion.“ Der Zusammenhang mit dem Antikörper-Status sei zwar in der Tat auffällig. Das sei aber kein Nachweis für eine ursächliche Beziehung; dieser fehle bislang völlig.
Der renommierte Schizophrenie-Forscher Markus Leweke vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim mahnt ebenfalls, die Hinweise mit Vorsicht zu interpretieren. Allerdings hält er einen ursächlichen Zusammenhang durchaus für möglich. „Es gibt eine Reihe von Hinweisen darauf, dass Toxoplasma gondii im menschlichen Gehirn aktiv ist“, sagt er. Der Einzeller hat wohl zumindest das Zeug dazu. Er verfügt nämlich über Gene für die Herstellung von L-Dopa, einen Ausgangsstoff für den wichtigen Neurotransmitter Dopamin. Dopamin spielt bei der Kommunikation der Nervenzellen im Gehirn eine wesentliche Rolle – und zwar sowohl in Tieren als auch in Menschen.
In Gehirnzellen der Maus kann Toxoplasma den Dopamin-Spiegel deutlich erhöhen. Möglicherweise führt das zu den suizidalen Verhaltensänderungen der Nager. Die Parasitologin Joanne P. Webster vom Imperial College London hat vor einigen Jahren Mäuse mit dem Medikament Haloperidol behandelt. Haloperidol blockiert im Gehirn die Andockstellen für Dopamin. In der Folge gewannen die Tiere ihre Scheu vor Katzen-Urin zumindest teilweise zurück.
Spannenderweise zeigen verschiedene Studien beim Menschen, dass Schizophrenie ebenfalls mit einer Veränderung der Dopamin-Aktivität einhergeht. Das Haloperidol, mit dem Joanne Webster ihre Mäuse behandelte, stammt eigentlich aus der Humanmedizin: Dort wird es in der Schizophrenie-Therapie eingesetzt.
Noch keine Impfungen
Impfungen gegen Toxoplasmose gibt es für Menschen bislang keine. Vor diesem Hintergrund empfiehlt das Medizin-Fachblatt The Lancet dringend, die Übertragungswege des Erregers genauer unter die Lupe zu nehmen. Denn wer weiß, wo Ansteckungsgefahren lauern, kann sich leichter schützen. Bekannt ist seit längerem, dass sich Menschen nicht nur durch den Kontakt zu Katzen infizieren können. Mögliche Ansteckungsquellen sind auch das Fleisch infizierter Tiere (vor allem von Schafen, Schweinen oder Geflügel), verseuchtes Wasser sowie Gemüse, das durch Katzenkot verunreinigt wurde. Selbst in unpasteurisierter Milch ist der Toxoplasmose-Erreger schon gefunden worden. „Unsere Empfehlung lautet daher momentan: Braten Sie Fleisch gut durch, bevor Sie es essen. Waschen Sie alles gründlich, was aus dem Garten kommt. Meiden Sie den Kontakt zu infizierten Katzen“, betont Frank Seeber vom Robert-Koch-Institut.
Derweil nutzen einige Interessensgruppen die beunruhigenden Befunde mit großer Vehemenz, um ihre Anliegen publik zu machen. Forscher des Leibniz-Instituts für Arbeitsforschung an der TU Dortmund haben kürzlich herausgefunden, dass Toxoplama gondii bestimmte Gedächtnisfunktionen von Senioren beeinträchtigt. Kurz nachdem die Ergebnisse der Studie online gegangen waren, erhielten die Autoren eine Interviewanfrage von der American Bird Conservancy. Die US-Vogelschützer haben inzwischen mit einer umfangreichen Pressemitteilung auf die Dortmunder Resultate aufmerksam gemacht – nicht ganz uneigennützig: Sie machten im gleichen Atemzug gegen streunende Katzen als „Haupt-Übertragungsweg“ Front. Denn die sind – das immerhin steht zweifelsfrei fest – eine tödliche Gefahr für die Vogelwelt.
(erschienen in Psychologie heute)