Studie der Universität Bonn ermittelt minimale Zeit für komplexe Quanten-Operationen
Auch in der Welt der kleinsten Teilchen mit ihren besonderen Regeln können die Dinge nicht unendlich schnell ablaufen. Physiker der Universität Bonn haben nun gezeigt, welches Tempolimit für komplexe Quantenoperationen gilt. An der Studie waren auch Wissenschaftler vom US-amerikanischen MIT, den Universitäten Hamburg, Köln und Padua sowie dem Forschungszentrum Jülich beteiligt. Die Ergebnisse sind unter anderem für die Realisierung von Quantencomputern wichtig. Sie erscheinen in der renommierten Fachzeitschrift Physical Review X.
Mal angenommen, Sie beobachten einen Kellner, der in der Silvesternacht wenige Minuten vor dem Jahreswechsel noch ein ganzes Tablett mit gefüllten Sektkelchen servieren muss. Er eilt in höchster Geschwindigkeit von Gast zu Gast. Dank seiner in vielen Berufsjahren perfektionierten Technik gelingt es ihm dennoch, kein Tröpfchen der kostbaren Flüssigkeit zu verschütten.
Dabei hilft ihm ein kleiner Trick: Während der Kellner seine Schritte beschleunigt, kippt er das Tablett etwas, damit der Champagner nicht aus den Gläsern schwappt. Auf halbem Wege zum Tisch neigt er es in die entgegengesetzte Richtung und bremst ab. Erst wenn er vollständig zum Stillstand gekommen ist, hält er es wieder gerade.
Atome ähneln in gewisser Hinsicht dem teuren Sekt: Sie lassen sich als Materiewellen beschreiben, die sich nicht wie eine Billardkugel, sondern wie eine Flüssigkeit verhalten. Wer Atome möglichst schnell von einem Ort zum anderen transportieren möchte, muss sich daher ähnlich geschickt anstellen wie der Kellner in der Silvesternacht. „Und selbst dann gibt es eine Geschwindigkeitsgrenze, die dieser Transport nicht überschreiten kann“, erklärt Dr. Andrea Alberti, der diese Studie am Institut für Angewandte Physik der Universität Bonn geleitet hat.
Caesium-Atom als Sektersatz
Wo diese Grenze genau liegt, haben die Wissenschaftler in ihrer Studie experimentell untersucht. Als Sekt-Ersatz diente ihnen ein Caesium-Atom, als Tablett zwei gegeneinander gerichtete Laserstrahlen, die sich überlagerten. Durch diese Überlagerung – Physiker sprechen von Interferenz – entsteht eine stehende Lichtwelle: eine Abfolge von Bergen und Tälern, die sich nicht bewegen. „Wir haben das Atom in eines dieser Täler geladen, dann die Lichtwelle in Bewegung versetzt und so die Position des Tals so verschoben“, sagt Alberti. „Unser Ziel war es, das Atom in kürzester Zeit zum Ziel zu bringen, ohne dass es dabei bildlich gesprochen aus dem Wellental schwappen kann.“
Dass im Mikrokosmos ein Tempolimit gilt, haben bereits Mitte des letzten Jahrhunderts zwei sowjetische Physiker nachgewiesen, Leonid Mandelstam und Igor Tamm. Sie zeigten, dass die maximale Geschwindigkeit eines Quantenprozesses von der Energieunschärfe abhängt, das heißt wie „frei“ das manipulierte Teilchen hinsichtlich seiner möglichen Energiezustände ist: Je mehr energetische Freiheiten es hat, desto schneller. Für den Atomtransport etwa gilt: Je tiefer das Wellental ist, in das man das Caesium-Atom sperrt, desto breiter ist das Intervall von Energien, die die Quantenzustände im Wellental annehmen können, und desto rascher lässt sich das Atom transportieren. Ähnlich ist es auch im Beispiel mit dem Kellner: Wenn er die Gläser nur halbvoll macht (zum Leidwesen der Gäste), läuft er weniger Gefahr, dass der Sekt beim Beschleunigen und Abbremsen überschwappt. Allerdings lässt sich die energetische Freiheit eines Teilchens nicht beliebig erhöhen. „Wir können unser Wellental nicht unendlich tief machen – es würde uns zu viel Energie kosten“, betont Alberti.
Beam me up, Scotty!
Das Tempolimit von Mandelstam und Tamm ist eine fundamentale Grenze. Man kann diese allerdings nur unter bestimmten Umständen erreichen, nämlich in Systemen, in denen es lediglich zwei Quantenzustände gibt. „Bei uns ist das beispielsweise der Fall, wenn Ausgangsort und Ziel sehr nah beieinander liegen“, erklärt der Physiker. „Dann überlappen die Materiewellen des Atoms an beiden Orten gewissermaßen. Daher ließe es sich auf einen Rutsch direkt zum Ziel transportieren, also ohne Zwischenstopps – fast wie bei der Teleportation im Raumschiff Enterprise.“
Anders sieht es allerdings aus, wenn der Abstand wächst, auf mehrere Dutzende von Materiewellenbreiten wie in dem Bonner Experiment. Für diese Distanzen ist eine direkte Teleportation ausgeschlossen. Stattdessen muss das Teilchen seinen Ortswechsel in mehreren Zwischenschritten vollziehen: Aus dem Zwei-Niveau- wird ein Multi-Niveau-System. Die Studie zeigt, dass für solche Prozesse ein niedrigeres Tempolimit gilt: Es wird nicht nur von der Energieunschärfe bestimmt, sondern auch von der Anzahl der Zwischenzustände. Damit verbessert die Arbeit das theoretische Verständnis komplexer Quantenprozesse und der Beschränkungen, denen sie unterliegen.
Wichtig sind die Erkenntnisse der Physiker unter anderem für das Quantencomputing. Die Berechnungen, die mit Quatenrechnern möglich sind, basieren meist auf der Manipulation von Multi-Niveau-Systemen. Quantenzustände sind allerdings sehr empfindlich; sie überdauern nur eine kurze Zeit, die die Physiker Kohärenzzeit nennen. Es ist daher wichtig, in diese Zeitspanne möglichst viele Rechenoperationen zu packen. „Unsere Studie zeigt, wie viele Operationen in der Kohärenzzeit maximal ablaufen können“, erklärt Alberti. „Dadurch wird es möglich, diese Zeit optimal auszunutzen.“