Mit zunehmender Gleichstellung scheinen sich Frauen und Männer immer unähnlicher zu werden – in der Persönlichkeit ebenso wie in der Wahl des Studienfachs. Was steckt dahinter? Eine höchst umstrittene Frage.
Nicht jede wissenschaftliche Analyse erregt so viel Aufsehen wie die von Gijsbert Stoet und David Geary. Die beiden Wissenschaftler veröffentlichten 2018 in der Zeitschrift »Psychological Science« einen Fachartikel mit dem Titel »The Gender-Equality Paradox in Science, Technology, Engineering, and Mathematics Education«. Darin schilderten sie einen unerwarteten Befund.
Die Psychologen hatten untersucht, in welchen Fächern Frauen und Männer zwischen 2012 und 2015 ein Studium abgeschlossen hatten. Sie stützten sich dabei auf Daten der UNESCO für fast 70 Nationen. Zusätzlich schauten sie sich an, wie es in jedem dieser Länder um die Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern bestellt war. Als Anhaltspunkt dafür diente ihnen der Global Gender Gap Index (GGGI), in den Kriterien wie Einkommen, Lebenserwartung sowie der Zugang zu Bildung und politischen Ämtern eingehen.
Stoet und Geary berechneten nun, wie viele unter sämtlichen Absolventinnen eines Landes einen Abschluss in Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften oder einem technischen Studiengang gemacht hatten. Diese so genannten MINT-Fächer gelten traditionell als Männerdomäne. Eigentlich sollte man daher erwarten, dass sich in einer Nation wie Algerien mit vergleichsweise patriarchalischen Strukturen Frauen eher selten für diese Karriere entscheiden – anders als etwa in Norwegen oder Finnland, die in Punkto Gleichberechtigung weltweit als Vorbild gelten.
Doch das Gegenteil war der Fall: Mehr als 40 Prozent aller Frauen, die in Algerien ein Studium abschlossen, taten das in einem der MINT-Fächer. In Norwegen waren es dagegen gerade einmal 20 Prozent, genau wie in Finnland, und Deutschland kam auf 27 Prozent. In der Gesamtschau ergab sich ein bemerkenswerter Trend: Je gleichberechtigter ein Land, desto seltener wählten Studentinnen dort Maschinenbau, Physik oder Informatik. Doch was ist der Grund für dieses »Paradox der Gleichberechtigung«, wie die Forscher ihre Beobachtung tauften?
(erschienen auf spektrum.de)