Können wir „unser Erbgut überlisten“, wie es populärwissenschaftliche Artikel nahe legen? Die gezielte Nutzung so genannter „epigenetischer“ Mechanismen ermöglicht es uns angeblich, uns aus der Herrschaft unserer Gene zu befreien. Doch so wichtig die Epigenetik für die Regulation unserer Erbanlagen ist – einen Paradigmenwechsel bedeutet sie nicht.
Vor fast zehn Jahren schrieb Florian Maderspacher, leitender Redakteur bei der Fachzeitschrift Current Biology, einen Meinungs-Beitrag über den „Hype um die Epigenetik“. Anlass war ein Spiegel-Artikel, der es sogar auf die Titelseite des Hamburger Magazins geschafft hatte: „Der Sieg über die Gene.“ Untertitel: „Klüger, gesünder, glücklicher: Wie wir unser Erbgut überlisten können“
Maderspacher nahm diesen Titel zum Anlass für eine Klarstellung: Dass Gene ihre Aktivität als Reaktion auf Umwelteinflüsse ändern, sei kalter Kaffee. Und: Epigenetik bedeute mitnichten einenen Paradigmenwechsel in der Frage, wie Gene und Vererbung funktionieren.
Gerade die populärwissenschaftliche Literatur versteht es aber, diesen Eindruck zu erwecken. Bücher wie „Der zweite Code: EPIGENETIK oder Wie wir unser Erbgut steuern können“ boomen auch dank des Versprechens, uns aus der Knechtschaft unserer Erbanlagen zu befreien. Vielleicht passt dieser Gedanke einfach zu einem Zeitgeist, der Selbstoptimierung großschreibt: Jeder ist seines Glückes Schmied. (Selbst gegen fettiges Haar bieten Shampoo-Hersteller übrigens inzwischen epigenetische Wundermittel an.)
Das menschliche Erbgut umfasst mehrere zehntausend Gene. Viele von ihnen sind Bauanleitungen für Proteine – zum Beispiel für Enzyme, die bestimmte chemische Reaktionen katalysieren. Eine Fettzelle benötigt für ihre Funktion ein ganz anderes Protein-Arsenal als etwa eine Herzzelle. Darüber hinaus muss sie auch auf ihre Umgebung reagieren können: Nach einer reichlichen Mahlzeit soll sie Fettsäuren synthetisieren und einlagern; bei Hunger soll sie das Fett wieder in seine Bestandteile aufspalten.
Ihre Genaktivität ist daher von Umweltreizen abhängig. Gesteuert wird das unter anderem durch Transkriptionsfaktoren: Sie regulieren, wie oft Gene abgelesen und in Proteine „übersetzt“ werden. Wenn ein Gen oft benötigt wird, können diese Transkriptionsfaktoren möglicherweise auch eine epigenetische Programmierung anstoßen: Sie sorgen dann dafür, dass das Gen dauerhaft leichter abgelesen werden kann. Das kann etwa durch eine chemische Modifikation geschehen (eine so genannte Demethylierung) oder auch durch eine Änderung der DNA-Struktur. Durch sie wird das „DNA-Knäuel“ an der Position, an der das benötigte Gen liegt, für die Ablesemaschinerie leichter zugänglich.
Wichtig sind daran zwei Punkte: Epigenetische Modifikationen funktionieren nicht losgelöst von den Erbanlagen (sogar die Bauanleitung für die Transkriptionsfaktoren steht in unserem Genom). „Die Genetik gibt stets den Rahmen vor“, sagt der Essener Forscher Bernhard Horsthemke. Und: Auch ohne diese Modifikationen würden sich Organismen an die Umwelt anpassen. Die Epigenetische Programmierung sorgt nur dafür, dass sich diese Anpassungen verfestigen können. Als Befreier aus der Herrschaft der Erbanlagen taugen sie nicht.