Schuldner qua Geburt

Menschen mit einer bestimmten Genvariante neigen augenscheinlich eher dazu, sich zu verschulden. Sind Schulden eine Frage der Erbanlagen?

Liegt Schulden zu machen in den Genen? (c) Fabian Blank/Unsplash
Liegt Schulden zu machen in den Genen? (c) Fabian Blank/Unsplash

Suzie Shpaizer hatte ein dunkles Geheimnis. „Ich tat es im Verborgenen; selbst mein Mann wusste nichts davon“, beichtet sie auf ihrer Webseite myprojectme.com. „Es geriet außer Kontrolle. Ich wusste, dass ich aufhören musste, aber ich konnte nicht. Ich war durch und durch kaufsüchtig.“

Sie habe praktisch alles gekauft, was sie wollte und wann sie es wollte, ohne lange zu überlegen, einfach aus einem Impuls heraus. „Es hat Spaß gemacht; es war einfach toll, immer neue Dinge zu haben“, schreibt sie. „Die Sache hatte aber einen bösen Haken: Ich war immer verschuldet, jonglierte mit Krediten und ignorierte mein Bankkonto, weil mein Kontostand so furchterregend war. Meine Kaufsucht belastete meine Beziehung, und der Stress beeinträchtigte meine Gesundheit.“

So wie Suzie Shpaizer geht es vielen. Sechs Prozent aller Erwachsenen in Deutschland gelten nach Ansicht von Experten als Kaufsucht-gefährdet. Mehr als 700.000 Menschen hierzulande sind überschuldet, weil sie „unangemessen“ konsumieren, schätzt die Wirtschaftsauskunftei Creditreform in ihrem Schuldneratlas 2013.

Wissenschaftler aus London und San Diego haben nun ein Gen identifiziert, dass für diese schwer zu zügelnde Konsumlust mit verantwortlich sein könnte. Es handelt sich um die Erbanlage für das Enzym Monoamin-Oxidase A (MAOA). MAOA baut Neurotransmitter in bestimmten Gehirnregionen ab, die mit Selbstkontrolle in Verbindung gebracht werden.

Die Forscher haben genetische Daten von insgesamt 12.000 Personen analysiert. Personen mit wenig MAOA gaben häufiger an, Kreditkarten-Schulden zu haben, als solche mit viel MAOA. „Frühere Studien haben gezeigt, dass Menschen mit einem wenig aktiven MAOA-Gen impulsiver und weniger gewissenhaft sind“, schreiben die Autoren. „Wir haben daher vermutet, dass Träger einer solchen Genvariante eher dazu neigen, teure Kredite aufzunehmen. Unsere Daten bestätigen das.“

Sind Schulden also eine Frage der Gene? Erben wir die Bereitschaft, über unsere Verhältnisse zu leben, von unseren Eltern – ähnlich wie Augenfarbe oder Körpergröße? „Dieser Schluss ist mir viel zu kurz gezogen“, kritisiert Astrid Müller von der Medizinischen Hochschule Hannover.

Die Psychologin erforscht seit vielen Jahren die Gründe für zwanghaftes Konsumverhalten. Dass es einen Zusammenhang zwischen Erbanlagen wie dem MAOA-Gen und Impulsivität gibt, bezweifelt sie nicht. Auch nicht, dass Impulsivität Auswirkungen auf das Kaufverhalten haben kann – gerade bei materiellen, konsumorientierten Menschen. Sie wehrt sich aber gegen die Vorstellung, es gebe zwischen MAOA-Gen und Verschuldung einen direkten Zusammenhang. „Das Ganze ist viel komplexer“, betont sie. „Viele Menschen sind impulsiv, deswegen aber nicht gleich kaufsüchtig.“

Martin Reuter, Professor für Persönlichkeitspsychologie an der Universität Bonn, sieht das ähnlich. „Das MAOA-Gen allein hat nur geringe Erklärungskraft; es ist lediglich ein kleines Puzzleteilchen.“ Die Daten aus der Studie stützen das: Zwar gaben Teilnehmer mit wenig MAOA zu 43 Prozent an, Kreditkartenschulden zu haben. Bei Probanden mit viel MAOA lag die Schulden-Quote jedoch kaum niedriger, nämlich bei 40 Prozent. Die Genvariation erklärt also nur einen kleinen Teil der Schulden, wie die Autoren der Studie auch freimütig einräumen.

Wie Astrid Müller billigt Reuter der Erbanlage zudem nur einen indirekten Einfluss auf unser Finanzgebaren zu. Menschen mit wenig MAOA seien zwar womöglich impulsiver und spontaner. Das müsse aber nicht unbedingt das Kaufverhalten beeinflussen. „Das Gen ist absolut nicht spezifisch für Kreditkarten-Schulden“, sagt er.

Aus Reuters Sicht ist es eine Frage der Persönlichkeit, wie wir mit Geld umgehen. Und diese werde einerseits durch eine Reihe von Erbanlagen geformt. Das MAOA-Gen sei nur eine einzige davon. Darüber hinaus spielten zudem noch zahlreiche weitere nicht-genetische Faktoren eine Rolle, zum Beispiel Vorbilder, Erziehung oder Schulbildung.

Doch wie groß ist bei unserem Umgang mit Geld der Einfluss der Gene, wie groß der der Umwelt? Eine exakte Antwort darauf kennt momentan niemand. Allerdings zeigt eine Studie aus dem Jahr 2010, dass eineiige Zwillinge (die ja genetisch identisch sind) oft sehr ähnliche Investment-Entscheidungen treffen. Die Forscher schätzen, dass unsere Erbanlagen zu 25 Prozent mit bestimmen, wie riskant wir uns bei Investitionen verhalten. Eine ähnliche Untersuchung zum Thema Schulden steht jedoch noch aus.

Astrid Müller warnt allerdings davor, bei der Debatte die Rolle der Erbanlagen zu sehr in den Vordergrund zu stellen: „Wenn der Eindruck entsteht: Es ist eine genetische Veranlagung, da kann man nichts gegen machen, dann können wir gleich einpacken.“ Schuldnerberater sehen das ähnlich. „Ich finde diesen ganzen Genansatz bedenklich“, urteilt etwa Sebastian Schröder von der Schuldnerberatungsstelle Albatros in Lüneburg. „Ob man auf der einen oder der anderen Seite des Beratungstisches sitzt, ist oft nur eine Frage von Glück oder Pech, nicht von Fähigkeiten oder eines Gens. “

In der Tat rangiert das Konsumverhalten im Schuldneratlas der Creditreform bei den Überschuldungs-Ursachen nur auf Platz 4 – weit hinter Arbeitslosigkeit, Trennung oder Krankheiten. Dennoch komme es vor, dass Menschen aufgrund von Spontankäufen in die Schuldenfalle tappen, sagt Schröder. Er plädiert daher dafür, die finanzielle Allgemeinbildung gerade von Schülern zu verbessern. „Vielen, die zu uns kommen, fehlt es an der Fähigkeit, ihre finanzielle Lage richtig einzuschätzen.“

Die Grenze zwischen unüberlegtem Konsum und einer Kaufsucht ist fließend. Wenn Shoppen wirklich krankhaft wird, hilft oft nur eine Therapie. „Wir versuchen dann herauszufinden, warum jemand zu pathologischem Konsumverhalten neigt“, erklärt Astrid Müller von der Medizinischen Hochschule Hannover. „Oft stecken dahinter ja emotionale Gründe, beispielsweise eine Depression. Dann schauen wir, was die Betroffenen alternativ tun können, um ihre Stimmung zu verbessern – beispielsweise Sport treiben. Und wir trainieren Strategien, mit denen sie sich besser kontrollieren können.“

Bei diesem Punkt hilft möglicherweise auch ein Trick, den Bestseller-Autor Dan Ariely in seinem Buch „Denken hilft zwar, nützt aber nichts“ beschreibt: Er empfiehlt, die Kreditkarte in ein Glas Wasser zu legen und dieses in die Tiefkühltruhe zu stellen. Bevor man seiner Konsumlust nachgeben könne, müsse man dann erst warten, bis das Wasser aufgetaut sei. Und bis dahin habe sich der Kaufdrang meist gelegt.

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