Forscher der Leuphana Universität Lüneburg entwickeln momentan mit EU-Mitteln eine „thermische Batterie“, die Wärme verlustfrei speichern kann. In ein paar Jahren schon könnte sie in vielen deutschen Heizungskellern stehen.
In einem Keller der Universität Lüneburg sitzt Amanda Watts neben einer Art überdimensioniertem Schnellkochtopf und misst seine Innentemperatur. Durch einen Schlauch perlt Wasserdampf in das verkabelte Gefäß; die LED-Anzeige auf dem Messgerät daneben meldet 44,3 Grad, Tendenz: steigend.
Die Chemikerin mit dem dichten schwarzen Haar erprobt eine Technologie, die schon bald in viele Heizungsräume einziehen könnte: einen Wärmespeicher, der seine Energie auch nach Monaten oder Jahren nicht verliert. Die Lüneburger Forscher sprechen von einer „thermischen Batterie“.
Die Idee dahinter ist einfach: Beim Speichervorgang treibt die Wärme eine chemische Reaktion an. Bei der Entnahme wird diese Reaktion einfach umgekehrt; die Wärme wird wieder frei. Projektkoordinator Dr. Thomas Schmidt füllt einen Teelöffel eines weißen Pulvers in ein Becherglas. „Halten Sie mal“, sagt er und spritzt ein paar Tropfen Wasser hinein. „Fühlen Sie den Boden: ziemlich heiß, nicht wahr?“
Kalk als Wärmespeicher
Das Pulver ist kein exotisches Wunderzeug, sondern schlicht gebrannter Kalk, chemisch: Kalziumoxid. Mit Wasser reagiert es unter starker Wärmeentwicklung zu Kalziumhydroxid. Wird dieser „gelöschte Kalk“ auf 550 Grad erhitzt, treibt das Wasser wieder aus. Dieser Vorgang lässt sich hunderte Male wiederholen.
Damit eignet sich Kalziumoxid wunderbar als Speichermaterial für die geplante thermische Batterie (korrekter müsste man eigentlich von einem thermischen Akku sprechen). Diese wiederum soll ein Problem lösen, mit dem sich unter anderem die Betreiber so genannter Mini-Blockheizkraftwerke herumschlagen müssen. Diese gelten als vergleichsweise umweltschonende Alternative zu normalen Heizungsanlagen, da sie aus dem eingesetzten Brennstoff – meist Gas oder Öl – auch Strom erzeugen. Dadurch haben sie einen hohen Wirkungsgrad; sie verwerten die Energie also ausgesprochen effizient.
Mini-BHKW sind sind oft nichts anderes als schnöde Automotoren, die an eine Art Lichtmaschine gekoppelt sind. Die kleinsten heute üblichen Anlagen liefern genug Abwärme, um ein Einfamilienhaus zu heizen. Das Problem dabei: Strom und Wärme fallen stets zur selben Zeit an. Ihre Produktion ist gekoppelt (man spricht daher auch von Kraft-Wärme-Kopplung, abgekürzt KWK). Das gilt jedoch nicht für die Nachfrage: Morgens benötigt der Hauseigentümer heißes Wasser für Dusche und Heizung, mittags dagegen Strom für den Herd.
Momentan nutzen daher die meisten Mini-BHKW das öffentliche Stromnetz als Puffer, in den sie nicht benötigten Strom einspeisen. Ingenieure sprechen von einer wärmegeführten Betriebsweise: Der Motor im Keller springt nur an, wenn geheizt werden muss. Im Winter läuft er rund um die Uhr, im Sommer steht er – unabhängig vom Strombedarf – über weite Strecken still. Will der Hausbesitzer dann seine Wäsche waschen oder abends bei Lampenschein lesen, muss er Strom zukaufen.
Für ihn ist das ein schlechtes Geschäft: Wenn er im Winter seinen überschüssigen Strom an den Netzbetreiber verkauft, erhält er pro eingespeiste Kilowattstunde um die 10 Cent (die genaue Vergütung schwankt, je nach Marktlage). Wenn er dagegen im Sommer Strom zukauft, zahlt er den handelsüblichen Preis – momentan also rund 25 Cent pro Kilowattstunde.
Im Idealfall würde das Mini-Kraftwerk daher stets die aktuell im Haus benötigte elektrische Leistung bereitstellen. Die dabei erzeugte Wärme würde gespeichert und erst bei Bedarf genutzt. Diese Idee ist nicht neu: Sonnenkollektoren etwa liefern oft gerade dann warmes Wasser, wenn es niemand braucht. In geeigneten Behältern hält sich dessen Temperatur aber noch bis zur frühmorgendlichen Dusche. Eine mehrwöchige Schlechtwetterperiode lässt sich mit derartigen Speichern jedoch nicht überbrücken. Irgendwann ist das Wasser kalt, auch bei bester Isolierung.
Verlustlose Speicherung
Substanzen wie Kalziumoxid speichern dagegen Wärme völlig verlustfrei – man muss sie nur trocken halten. Man könnte also beispielsweise die Abwärme des Mini-Blockheizkraftwerks nutzen, um gelöschten Kalk zu „brennen“. Im Bedarfsfall könnte man die Wärme durch Zugabe von Wasser kontrolliert wieder freigeben. „Wir bauen nach diesem Prinzip gerade einen Speicher mit 80 Kilowattstunden Wärmekapazität“, erläutert Professor Dr. Wolfgang Ruck, der das Projekt wissenschaftlich leitet. Gerade mal so groß wie eine Waschmaschine soll der Wärmeakku werden. Er wäre aber stark genug, um im tiefsten Winter zehn Tage lang den Warmwasserbedarf einer Familie zu decken.
Gebrannter Kalk ist nicht das einzige Material, das als Puffer in Frage kommt. Ruck und seine Mitarbeiter haben inzwischen über 80 Substanzen daraufhin untersucht, inwiefern sie sich zur Wärmespeicherung eignen. Die Anforderungen sind hoch: Ein guter Kandidat muss mindestens 1.000 Mal reversibel be- und entladbar sein. Er muss viel Wärme speichern können und sie im geeigneten Temperaturbereich wieder freigeben. Er darf die Umwelt nicht schädigen. Und, nicht zuletzt: Er sollte möglichst kostengünstig sein.
Der „Schnellkochtopf“ im Keller von Gebäude 16 ist nichts anderes als eine thermische Batterie im Kleinmaßstab: Hier müssen die Kandidaten unter praxisähnlichen Bedingungen ihre Tauglichkeit beweisen. „Jede Substanz hat ihre Vor- und Nachteile“, erläutert Thomas Schmidt. „Momentan liegen neben gebranntem Kalk auch noch Kalzium- und Magnesiumchlorid gut im Rennen.“
Gefördert wird das Projekt unter anderem von der Europäischen Union, die damit auch den Wirtschaftsstandort Lüneburg stärken möchte. Mittelfristig sollen die Anstrengungen in ein käufliches Produkt münden. „Wir kooperieren dazu mit einem Hersteller von Blockheizkraftwerken“, sagt Professor Ruck. Den Namen möchte er allerdings nicht verraten.
Bei Mini-BHKW-Produzenten stößt die Idee mit dem Wärme-Akku auf positive Resonanz. Durch die Entkopplung von Strom- und Wärmeproduktion lasse sich die Laufleistung der Anlagen erhöhen, sagt etwa Thomas Klamroth von der Energie Systeme & Service GmbH (ESS). Die ESS gehört dem Heizungshersteller Viessmann; sie entwickelt bereits seit zwei Jahrzehnten Mini-Blockheizkraftwerke. Da BHKW-Module billigen Strom erzeugten, könnten sie durch die thermische Batterie rentabler werden, hofft Klamroth.
Gute Nachricht für Netzbetreiber
Sollte alles wie gewünscht klappen, wäre das auch für die Betreiber der Stromnetze eine gute Nachricht. Denn kleine KWK-Anlagen könnten für Schwankungen beim Stromangebot sorgen – mit unerwünschten Folgen. Wenn etwa bei einem plötzlichen Kälteeinbruch massenhaft Strom aus Mini-Blockheizkraftwerken ins öffentliche Netz flösse, könnte das die Börsenpreise zum Purzeln bringen. Sogar negative Strompreise könnten die Folge sein: Großkunden müssten dann für den Strom nichts bezahlen, sondern bekämen noch Geld heraus.
Negative Strompreise gibt es schon heute. Sie treten immer dann auf, wenn ein kurzfristiges Strom-Überangebot auf eine schwache Nachfrage trifft. Derartige Ungleichgewichte können laut Netzbetreiber Tennet im schlimmsten Fall zu teuren Schäden an der Netzinfrastruktur führen. Sogar Stromausfälle könnten die Folge sein. Die Erzeuger müssen also reagieren – beispielsweise, indem sie die Nachfrage durch Geldgeschenke ankurbeln. Das ist oft immer noch günstiger, als kurzfristig ein Kraftwerk herunterzufahren.
Am Day-Ahead-Markt der Energiebörse EPEX SPOT, auf dem die Stromlieferungen des Folgetages gehandelt werden, kam es dadurch im vergangenen Jahr an 15 Tagen zu negativen Preisen. Zeitweise konnten Käufer vier Cent pro Kilowattstunde einstreichen – das ist in etwa soviel, wie sie der Strom an normalen Tagen kostet.
Schuld sind nach Angaben der EPEX SPOT vor allem die erneuerbaren Energien. Denn deren Produktion ist wetterabhängig und damit schwer zu kalkulieren. Ein wahrer Preiskiller ist etwa die Kombination „Wochenend und Sonnenschein“: Während die Photovoltaik-Anlagen auf Hochtouren laufen und jede Menge Strom produzieren, stehen in vielen Fertigungshallen die Maschinen still.
Mini-BHKW könnten die Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage ebenfalls erhöhen und die Preise damit unkalkulierbar beeinflussen, meint Professor Wolfgang Ruck vom Projekt „Thermische Batterie“. Noch ist dieser Einfluss überschaubar: Ein modernes Kernkraftwerk erzeugt sechsmal soviel Energie wie sämtliche KWK-Kleinanlagen in Deutschland zusammengenommen. Doch die Bundesregierung möchte den Anteil der umweltfreundlichen Anlagen am Energiemix bis 2020 auf 25 Prozent erhöhen, auch durch eine lukrative Förderung. Damit steigt möglicherweise auch die Gefahr schwer zu kalkulierender Angebotsschwankungen auf dem Strommarkt. Für die Energiekonzerne wäre das ärgerlich – sie verlieren im ungünstigen Fall eine Stange Geld. Der Wärme-Akku im Keller könnte dieses Problem entschärfen.
Ruck und seine Mitarbeiter sinnen derweil bereits über eine ganz andere Zielgruppe ihrer thermischen Batterie nach: „LKW-Motoren produzieren im Schnitt 80 Prozent Abwärme“, sagt der Professor. „Warum hängen wir nicht einen 200-Kilo-Wärmespeicher darunter, der nach der Fahrt automatisch gemolken wird?“ Wer weiß: Vielleicht können wir gar in Zukunft nach der Rückfahrt aus dem Skiurlaub die gespeicherte Motoren-Abwärme nutzen, um das ausgekühlte Haus auf bewohnbare Temperaturen zu bringen.
(erschienen in VDI Mensch und Technik)